Mein Ruckers.
Ausgangspunkt
Die hier gesammelten Überlegungen haben alle eine gemeinsame Wurzel: meine Bestellung eines Doppelcembalos nach Ruckers bei Matthias Griewisch. Die musikalische Verwendung der klanglichen Möglichkeiten dieses Cembalotyps bleiben im Bereich musikwissenschaftlicher Spekulation. Heute gibt es meines Wissens nur drei hochwertige spielbare Kopien des einzigen im Originalzustand erhaltenen Instruments (Russell Collection Edinburgh Nr. 6, Baujahr 1638, unspielbar) in Europa, eines in Besitz von Johan Hofmann (Griewisch, 2012), das zweite in meinem (Griewisch, 2016) und das dritte im Besitz der Schola Cantorum Basiliensis (Griewisch 2020). An dieser Stelle danke ich Johan herzlich für seinen Mut, dieses Instrument bei Matthias Griewisch in Auftrag gegeben zu haben – sein Instrument hat mich überhaupt erst auf die Idee gebracht, mich mit diesem Themenkomplex zu beschäftigen und selbst ein solches Instrument zu kaufen.
Die Frage nach den Gründen für die aus heutiger Sicht merkwürdige Konstruktion und ihrer musikalischen Bedeutung führt tief in ungelöste Fragen der Aufführungspraxis. Bei der Durchsicht der musikwissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema fällt auf, dass üblicherweise ein einzelner Aspekt genommen wird, um ein Erklärungsmodell für das Instrument zu konstruieren. Solche Thesen können leicht angezweifelt werden. Ich vermute, dass es auf diese Weise unmöglich ist, dem Instrument in seiner gesamten Komplexität gerecht zu werden.
Im Allgemeinen scheint es mir sinnvoll, gewisse gängige Begriffe durch weniger selbstverständliche zu ersetzen, um eine sprachliche Distanz zu schaffen. Diese Distanz zwingt einen dazu, stets genau und hinterfragend zu denken und nicht unbemerkt und ungewollt auf ausgetretenen oder anachronistischen Pfaden zu gehen. Deshalb nenne ich Cembali lieber Flügel (in Abgrenzung zum Virginal), 8'- und 4'-Register lieber principale und ottava und "Transponiercembalo" lieber Doppelflügel.
Die hier präsentierte Gedanken- und Materialsammlung soll dazu anregen, dieses Thema neu zu denken und sich ergebnisoffen auf eine künstlerische Auseinandersetzung einzulassen.
Literatur, Auswahl
Grant O'Brien, Ruckers: a harpsichord and virginal building tradition, Cambridge University Press, 1990.
Lucas van Dijk und Ton Koopman, Het klavecimbel in de Nederlandse kunst tot 1800, Zutphen 1987.
John Koster, "Three Early Transposing Two-Manual Harpsichords of the Antwerp School", The Galpin Society Journal, Band 57, 2004, S. 81-116, 215.
Pascale Vandervellen, The Golden Age of Flemish Harpsichord Making, Musical Instruments Musem Brussels, 2017.
Diez Eichler und Alexander Richter, "Ruckers-Cembali mit 'verrückter' Tastatur: Zur Funktion der Transpositionscembali mit quartversetzten Manualen", Concerto, Magazin für Alte Musik, Ausgabe 255, Mai/Juni 2014.
Sibyl Marcuse, "Transposing Keyboards on Extant Flemish Harpsichords", The Musical Quarterly, Band 38, S. 414-425, 1952.
Edwin Ripin, "The Two-Manual Harpsichord in Flanders before 1650", The Galpin Society Journal, Band 21, S. 33-39, 1968.
Hans Schnieders, Fingersätze für Tasteninstrumente aus dem Umfeld Sweelincks und seiner Schüler, Dissertation, Universität Heidelberg, 2011.
Heutige Aufführungspraxis
Mir sind fünf Kopien eines Ruckers-Doppelflügels in originaler Disposition bekannt:
Philip Tyre, Baujahr 1996, Clearwater Florida. Besitzer: Reid Byers. Eine Aufnahme mit diesem Instrument liegt vor: CRC 2747. Das Instrument ist mit modifizierbaren Klaviaturen ausgestattet, die Manuale sind verschiebbar, um verschiedene Zustände des ravalements abzubilden.
Cornelis Bom, Baujahr 2012, Dekoration Jessica Zappe. Das Instrument befindet sich nach Information von Andreas Zappe heute in den USA. Eine Aufnahme mit diesem Instrument liegt vor.
Matthias Griewisch, Baujahr 2012, Bammental Deutschland. Besitzer: Johan Hofmann, Groningen. Informationen über das Instrument befinden sich auf den Homepages von Johan Hofmann und Matthias Griewisch. Mit diesem Instrument sind mir keine Aufnahmen bekannt.
Matthias Griewisch, Baujahr 2016, Bammental Deutschland, Dekoration Christian Scheuber. Besitzer: Johannes Keller, Basel. Dieses Instrument steht im Zentrum dieses Textes. Aufnahmen mit diesem Instrument befinden sich auf dem YouTube-Kanal von Johannes Keller.
Matthias Griewisch, Baujahr 2020, Bammental Deutschland. Besitzer: Schola Cantorum Basiliensis, Basel.
Alle Aufnahmen und dokumentierte Aktivität rund um diese Instrumente drehen sich ausschliesslich um das Solo-Repertoire. Eine kammermusikalische Integration hat meines Wissens bisher nicht stattgefunden, mit Ausnahme der unten beschriebenen Experimenten, die ich in den vergangenen Jahren durchgeführt habe.
Zusätzlich ist eine CD-Produktion mit Nuria Rial und Jan Börner und dem Ensemble Il Profondo zu erwähnen, die im Frühling 2019 aufgenommen wurde und sich in Vorbereitung befindet. In dieser Aufnahme habe ich mein Doppelflügel erstmals als Continuo-Instrument eingesetzt.
Eigenschaften der Doppelflügel
Instrumentenbauliche Ausführung
Bis auf eine einzige Ausnahme (Russell Collection Edinburgh, Nr. 6, bei O'Brien "1638b") wurden alle Doppelflügel der Ruckers in den nachfolgenden Generationen umgebaut, hauptsächlich im 18. Jahrhundert. Der ursprüngliche Zustand ist nur noch an Spuren ablesbar. Zu dieser Modifikationspraxis siehe O'Brien, Seiten 207-217.
Doppelflügel hatten in ihrem Originalzustand stets zwei Chöre: ein principale und ein ottava. Diese für den Cembalobau unüblichen Begriffe habe ich gewählt, um Verwirrungen bezüglich der klingenden Tonhöhe zu vermeiden, wie weiter unten gezeigt wird. Diese beiden Chöre werden von vier Springerreihen bedient, die hinterste (die vom Spieler am weitesten entfernte) zupft den ottava-Chor an, die zweit hinterste den principale-Chor. Diese beiden Springerreihen stehen auf den Tastenhebeln des Untermanuals. Das obere Manual bedient die zweit vorderste Springerreihe, die den ottava-Chor anzupft, sowie die vorderste Reihe, die den principale-Chor anzupft.
Die Tatsache, dass jeweils zwei Springer die gleiche Saite anzupfen ist im konventionellen Cembalobau (nach heutigem Verständnis) ungewöhnlich. Sie hat folgende Implikationen:
Aus der gleichen Saite werden zwei unterschiedliche Klänge herausgeholt, einerseits weil die Anrissposition der beiden Plektra verschieden ist, andererseits weil die Möglichkeit besteht, die beiden Register unterschiedlich zu intonieren.
Die Register des nicht gespielten Manuals müssen stets ausgeschaltet werden. Falls dies nicht getan wird, blockieren die Dämpfer des nicht gespielten Manuals die Saiten, die für das gespielte Manual benötigt werden. Ein Manualwechsel ist also prinzipiell mit einem Umregistrieren verbunden. (Das Spiel auf beiden Manualen gleichzeitig ist als Spezialfall möglich, dazu weiter unten mehr).
Dies setzt voraus, dass die Dämpfer so angefertigt sind, dass sie bei ausgeschaltetem Register die Saite freigeben. Heute werden Dämpfer üblicherweise so angefertigt, dass sie auch bei ausgeschaltetem Register die Saite stumm halten.
Beim Registrieren besteht somit die Wahl, ob man ein nicht benutztes Register frei mitschwingen lässt oder es aktiv dämpft. Beispiel: Spielt man mit dem principale auf dem oberen Manual, kann der ottava-Chor entweder freigegeben werden, indem beide ottava-Rechen ausgeschaltet werden, oder der Chor kann gedämpft werden, indem der zum unteren Manual gehörende ottava-Rechen eingeschaltet (aber nicht gespielt) wird. Dadurch wird die Gesamtresonanz des Instruments verändert.
Eine weitere Charakteristik der Doppelflügel besteht darin, dass die Manuale nicht auf der gleichen Stimmtonhöhe stehen: üblicherweise klingt das untere Manual eine Quarte tiefer als das obere. Die Verschiebung der Klaviaturen schliesst eine direkte Koppelbarkeit aus. Das Konzept eines heute üblichen zweimanualigen Cembalos greift bei diesen Instrumenten also nicht.
Auf diese Tatsache gehen die heute verbreiteten Begriffe "Kontrastmanuale" (konventionell, koppelbar, für Forte-Piano-Effekte nutzbar) und "Transpositionsmanuale" (typisch für die Ruckers-Doppelflügel) zurück, die ich in meinem eigenen Sprachgebrauch aber vermeide.
Der wohl bei Ruckers standardmässig vorhandene, mit Elchleder ausgestattete Lautenzug ist auf dem unteren Manual zwischen f' und fis' geteilt, entsprechend auf dem oberen Manual zwischen c' und cis'. Einmanualige Ruckers-Flügel haben die Teilung stets zwischen f' und fis', was bedeutet, dass das untere Manual dieser Konvention folgt, während das obere Manual eine Ausnahme bezüglich der Lautenzugeinteilung darstellt.
Eine Analogie zum Orgelbau oder eindeutige Entsprechungen im Repertoire konnte ich bisher nicht ausmachen. Die Teilung des Lautenzugs zwischen f' und fis' scheint für die Ruckers-Flügel einzigartig.
Stimmung der Ruckers-Instrumente
Der einzige verbindliche Hinweis auf die Stimmung der Ruckers-Instrumente (und damit der gesamten Stimmpraxis im Umfeld von Ruckers-Tasteninstrumenten) liefern die Doppelflügel: bei der gis-Saite (in Bezug auf die Tonnamen des unteren Manuals) befindet sich ein kleiner Messingsteg, um eine zusätzliche Saite in der Bedeutung eines es (in Bezug auf das obere Manual) aufzunehmen. Dies ist notwendig, weil die erwähnte gis-Saite sonst auf dem oberen Manual als dis klingen würde. Das Instrument verfügt also über 13 Saiten pro Oktave.
Alle anderen Obertasten werden in der Transposition zwischen den Manualen korrekt übersetzt, geht man von einer Stimmung aus, die den chromatischen vom diatonischen Halbton unterscheidet, jedoch innerhalb der chromatischen und diatonischen Halbtöne keine signifikanten Unterschiede aufweist.
Der Unterschied zwischen den 'enharmonischen Saiten' beträgt etwa einen Fünftelton und ist in den im italienischen Raum typischen Tasteninstrumenten mit geteilten Tasten ebenfalls zu finden. Was in einem 'cimbalo cromatico' direkt und explizit greifbar ist, wird beim Ruckers-Doppelflügel sozusagen versteckt eingebaut.
Die Tatsache, dass an der Stelle, an der die Halbtonstruktur zwischen den Manualen sich unterscheidet eine zusätzliche Saite eingezogen wurde, belegt, dass die verwendete Stimmung die diatonischen und chromatischen Halbtöne unterscheidet. Wäre dies nicht der Fall, könnte auf die technisch aufwändig konstruierte Zusatzsaite verzichtet werden.
Stimmungen, die die beiden Halbtöne unterscheiden gehören entweder zur pythagoreischen oder zur mitteltönigen Familie von Stimmungen. Eine pythagoreische Stimmung wird an dieser Stelle prinzipiell ausgeschlossen, weil bereits knapp 100 Jahre vor der Ruckers-Dynastie die praktischen Quellen über das Stimmen von Tasteninstrumenten mit temperierten Quinten arbeiten. Eine pythagoreische Stimmung wäre jedoch theoretisch realisierbar, und die zusätzliche gis-Saite würde ein pythagoreisches System sinnvoll ergänzen.
An dieser Stelle wird deshalb die Annahme gemacht, dass eine Form von mitteltöniger Stimmung üblich war für solche Instrumente. D.h. die Quinten werden kleiner als rein gestimmt, um die grossen Terzen rein oder fast rein zu machen. Dieses Prinzip wird innerhalb einer Quintenspanne von es bis gis durchgeführt.
Der Stimmvorgang
Nach meiner eigenen Erfahrung mit meinem Instrument habe ich einen spezifischen Stimmvorgang gefunden, der sich im Alltag gut bewährt. Er orientiert sich an der Beschreibung von Pietro Aron von 1523 (Il Toscanello, letztes Kapitel):
- Ich beginne mit dem unteren Manual und wähle eine gute Tonhöhe für die c-Taste im principale (eine Oktave über der tiefsten Saite des Instruments). Selten verwende ich eine fixe Referenz, normalerweise lasse ich das Instrument 'wandern', was du einer überaus stabilen inneren Stimmung führt.
- Ich stimme c-c' und c-e', letztere als praktisch reine Terz. Die Oktave zu e muss ergänzt werden.
- Ich stimme c-g und g-d' nach Gefühl, sie klingen in dieser tiefen Lange wenig temperiert, eine Schwebung ist in der markanten Gesamtresonanz des Instruments schwer auszumachen, ich höre auf die 'Offenheit' der Quinten.
- Ich stimme d'-d, um danach das a zwischen d und e' zu 'zentrieren', sodass sich beide entstehenden Quinten (d-a und a-e') ähnlich anfühlen.
- Ich stimme das f zum c' und kontrolliere die entstehende Terz f-a, die quasi rein sein soll.
- Nun hänge ich die zwei Quinten f-B und b-es an und kontrolliere die Terzen B-d und es-g, die beide mehr oder weniger rein sein sollen.
- Ich stimme das h zum e, sodass die Terz g-h quasi rein wird.
- Nun fehlen noch die drei Kreuze, fis, gis und cis', die ich alle innerhalb ihrer Dreiklänge stimme: das fis zentriere ich zwischen d und a, das gis zwischen e und h und das cis zwischen a und e', sodass jeweils beide Terzen gleichermassen temperiert sind. So werden die drei Kreuze etwas tiefer als bei einer regelmässigen 1/4-Komma-Mitteltönigkeit.
- Ich ergänze sämtliche fehlenden Oktaven, bis alle Saiten des principale gestimmt sind.
- Ich schalte das ottava-Register dazu und stimme alle Saiten. Normalerweise stimme ich erst alle weissen Tasten, dann die beiden b-Tasten, dann die drei Kreuz-Tasten. Das hält wach und bringt die immer präsente Resonanz des Instrument nicht durch chromatische Fortschreitungen durcheinander.
- Ich schalte um auf den principale des Obermanuals und stimme die drei separaten es-Saiten (die Wirbel, die aus der Reihe tanzen), indem ich die Quinte es-b temperiere und die Terz es-g kontrolliere, die mehr oder weniger rein sein soll.
- Ich schalte das ottava-Register auf dem oberen Manual dazu und stimme die drei es-Saiten.
Ich habe festgestellt, dass es produktiver ist und natürlicher klingt, wenn ich die Temperatur dort lege, wo ich am liebsten und am häufigsten spiele, wo gewissermassen das Herz des Gesamtklangs liegt. Und das ist aus meiner Sicht eindeutig die zweitunterste Oktave des unteren Manuals (ca. c-f').
Ruckers-Statistik
In diesem Abschnitt betrachte ich die Gesamtheit der dokumentierten erhaltenen Ruckers-Instrumente, wie sie im Katalog von O'Brien ab S. 236 beschrieben werden. Bei der folgenden Auswertung gilt es diese Punkte zu beachten:
Die Zahl der erhaltenen und dokumentierten Instrumente ist ein kleiner Teil der von den Ruckers hergestellten Instrumente, sie repräsentiert also nicht die tatsächliche Gewichtung der verschiedenen Modelle und Ausführung.
Es werden ausschliesslich die von O'Brien vermuteten Originalzustände der Instrumente berücksichtigt, nicht deren heutige, üblicherweise stark modifizierte Gestalt. Dies vergrössert die Ungenauigkeit dieser Auswertung weiter.
Die Verteilung der Instrumente innerhalb der Spanne von 1581 bis 1654 wurde nicht berücksichtigt. Das bedeutet, dass zeitabhängige Tendenzen (Mode-Erscheinungen auf dem Tastenmarkt) in der Auswertung nicht repräsentiert werden.
Es wurden nur echte Instrumente von Ruckers berücksichtigt. Instrumente von den Couchets (frühestes Exemplar 1645) und als Fälschungen bzw. Fehlzuschreibungen eingestufte Instrumente wurden ausgeschlossen.
Die Produktepalette
Instrumententypen
Die "Produktepalette" der Ruckers kann folgendermassen strukturiert werden:
- Einmanualige Instrumente
- Virginale
- Muselar-Typ (Klaviatur rechts in einem rechteckigen Gehäuse, Anrisspunkte quasi in der Mitte der schwingenden Saiten)
- Spinett-Typ (Klaviatur links im Gehäuse, parallel zum Steg, ähnliche Anrissverhältnisse wie beim Flügeltyp)
- Flügelförmige Instrumente (Cembali mit einem principale- und einem ottava-Register)
- Virginale
- Zweimanualige Instrumente
- Mutter-Kind-Instrumente
- Muselar-Typ
- Spinett-Typ
- Doppelflügel
- Standardausführung (oberes Manual auf einer klingenden Tonhöhe wie der grösste Virginaltyp, unteres Manual eine Quarte tiefer)
- 'Französische' Ausführung (unteres Manual wie der grösste Virginaltyp, oberes Manual eine Quinte höher)
- Flügel-Virginal-Kombinationen (einmanualiger Flügel mit fest eingebautem Virginal in rechteckigem Kasten)
- Mutter-Kind-Instrumente
- Dreimanualige Instrumente
- Doppelflügel-Virginal-Kombinationen (Doppelflügel in Standardausführung mit angehängtem Virginal)
Von den 87 erhaltenen und dokumentierten Ruckers-Instrumenten sind 43 zwei- bzw. dreimanualig und 44 sind einmanualig. Von diesen 44 einmanualigen Instrumenten sind 20 in Flügelform (Cembali) und 24 in Virginalform. Von den 43 mehrmanualigen Instrumenten sind 27 Doppelflügel.
Sämtliche mehrmanualige Instrumente haben ihre Tastaturen auf verschiedenen Tonhöhen. Zweimanualige Instrumente im heutigen Sinn, mit Klaviaturen, die sich auf der gleichen Tonhöhe befinden, schien es bei den Ruckers nicht zu geben. Bei Mutter-Kind-Virginalen stehen die beiden Manuale im Oktavabstand zueinander, bei Doppelflügeln im Quint- oder Quartabstand.
Stimmtonhöhen
O'Brien bezeichnet die Stimmtonhöhe des grössten Virginaltyps als reference pitch (R), was möglicherweise ungefähr a'=400 Hz entspricht. Um eine solch präzise Angabe zu begründen müssen folgende Fragen beantwortet werden:
Welche Saitendicken werden verwendet? (Es gibt leider zu wenig historische Evidenz, um die von den Ruckers verwendeten Durchmesser zu rekonstruieren, es muss bei Annahmen und Erfahrungswerten aus dem historisch orientierten Cembalobau bleiben).
Welches Saitenmaterial wird verwendet? (Aus dem durch die Stege definierten Saitenlängenverlauf können Rückschlüsse über Materialübergänge gezogen werden (Messing im Bass, Eisen im Diskant), aber die genaue Legierung und Herstellungsweise der Ruckers-Saiten bleibt eine Hypothese.
Wie stark wurden Saiten ausgelastet? Das ist eine ästhetische Entscheidung: während bei Darmsaiten das Prinzip weit verbreitet ist, dass eine Saite desto besser klingt, je näher sie sich an ihrer Reissgrenze befindet, ist es bei Metallsaiten nicht so klar. Selbst bei bekanntem Durchmesser und Material kann man sich theoretisch immer noch dazu entscheiden, eine Saite weit unter ihrer Reissgrenze einzustimmen.
Da diese Punkte nicht mit Sicherheit beantwortet werden können, bleibt die Angabe einer festen Stimmtonhöhe eine stark diskutable Hypothese. Ich selbst habe gute Erfahrungen gemacht mit a' = 400-410 Hz, wobei ich das Instrument wandern lasse. Es bewegt sich je nach Witterung zwischen ca. 390 und ca. 408 Hz, und behält dabei das Stimmungssystem bemerkenswert stabil.
Mein Eindruck ist, dass die Einhaltung einer fixen Frequenz als Stimmtonhöhe gegen die 'Natur' der Instruments geht, bzw. eine ausgewogene Reaktion des Instruments auf die klimatischen Verhältnisse blockiert. Als Folge meiner Praxis brauche ich die Wirbel kaum zu drehen, was die Stabilität der Stimmung ebenfalls erhöht und natürlich die Saiten weniger ermüdet.
Meine Kammermusikpartner reagieren gelassen und flexibel, da es ohnehin ein besonderes Instrument ist, besteht eine hohe Bereitschaft, sich darauf einzulassen.
Unabhängig vom konkret verwendeten Stimmton lassen sich die verschiedenen Ruckers-Instrumententypen in sinnvolle tonale Beziehungen setzen. Dies lässt sich schlüssig aus einem Vergleich der Mensurverläufen ablesen, wie O'Brien zeigt. Wenn man annimmt, dass die Ruckers stets das gleiche Material, das gleiche Konzept für die Saitendicken und die gleiche Ästhetik bezüglich der Auslastung pflegten, werden die verschiedenen Instrumententypen bezüglich ihrer relativen Stimmtonhöhe vergleichbar.
Die Betrachtung der Ruckers-Modelle in ihrer gesamten Vielfalt ist aufschlussreich und bietet eine Möglichkeit, den Doppelflügel besser einzuordnen.
In der folgenden Abbildung sind die Klaviaturen sämtlicher erhaltenen Instrumente in ihrer relativen klingenden Beziehung dargestellt. Es fällt auf, dass alle Klaviaturen C-basiert sind (im Bass stets mit einer kurzen Oktave ausgestattet). Die mit "R" bezeichnete Klaviatur entspricht dem, was wir heute als 8' bezeichnen, ist also gewissermassen das "Standard"-Manual, auch wenn es wahrscheinlich einen knappen Ganzton unter einem heutigen Klavier geklungen haben mag.
Grundsätzlich sehe ich es jedoch als problematisch, eine bestimmte Ruckers-Klaviatur als "Standard" zu verstehen, und alle anderen als "Transpositionen" dessen. Das Gesamtbild der Ruckers-Modelle legt es nicht nahe, der "R"-Klaviatur eine gewichtigere Bedeutung zu geben als der "R-4" oder der "R+5"-Klaviatur.
Die oben dargestellte Klaviaturpalette lässt sich gruppieren: die eine Untergruppe basiert auf R und umfasst alle oktavierten und in der Oberquart (bzw. Unterquinte) sich befindenden Verschiebungen. Diese Gruppe ist hier rot dargestellt. Die andere, blau dargestellte Gruppe basiert auf R-4 (beziehungsweise R+5) mit allen Oktavierungen und Oberquartverschiebungen. Alle Ruckers-Klaviaturen passen in eine dieser beiden Gruppen. Damit drängt sich ein Vergleich zur Consortbildung der Renaissance auf, der an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt wird, dem ich jedoch eine grosse Bedeutung beimesse. Eine Untersuchung der Parallelen zwischen Instrumentenfamilien, Consort-Praxis und den Ruckers-Modellen scheint mir grosses Potenzial zu bieten und wurde meines Wissens bisher noch nicht erforscht.
Vor dem Hintergrund dieses Gruppierungsprinzips zeigt sich die Disposition der Ruckers-Doppelflügel als ausgesprochen geschickt. Sie verfügen sowohl über ein blaues wie auch ein rotes Manual. Da jedes Manual eine principale- und eine ottava-Saite anspielen kann, ergeben sich zusätzlich noch die jeweils oktavierten Klaviaturen. In der folgenden Abbildung sind die beiden dokumentierbaren Varianten von Ruckers-Doppelflügeln dargestellt.
Die untere Variante entspricht meinem Ruckers-Instrument und schien die weiter verbreitete gewesen zu sein (gemäss O'Brien lassen sich mehr Instrumente diesem Urzustand zuordnen als dem anderen). Um die Terminologie zu ergänzen, können die relativen Tonhöhen mit der Fuss-Terminologie aus dem Orgelbau verbunden werden. R entspricht einem 8'-Register, R-4 kann als 12'-Register verstanden werden.
Diese Fussbezeichnungen haben sich in meiner eigenen Praxis bewährt. Sie erleichtern die Kommunikation in Proben, das kompakte Notieren von Registrierungen und erschliessen sich auch 'Neulingen' intuitiv. Sie sind allerdings im Kontext von Ruckers-Instrumenten frei erfunden und lassen sich nicht von historischer Evidenz belegen. An dieser Stelle weise ich auch darauf hin, dass die Fussbezeichnungen mathematisch nicht korrekt sind, denn 12:8 beschreibt das Intervall einer Quinte (3:2), nicht einer Quarte (4:3, also müsste man von einem 12' und einem 9' sprechen, oder von einem 10 2/3' und einem 8'). Trotz dieser Ungenauigkeit (die im Orgelbau weit verbreitet war) verwende ich die Fussbezeichnungen 12', 8', 6', 4', 3' für die Ruckers-Doppelflügel mit Begeisterung.
Damit deckt der Doppelflügel mit R und R-4 folgende Klaviaturen und Registertypen ab:
- R-4: principale-Chor auf dem unteren Manual, 12'
- R: principale-Chor auf dem oberen Manual, 8'
- R+5: ottava-Chor auf dem unteren Manual, 6' (Oktave über 12')
- R+8: ottava-Chor auf dem oberen Manual, 4' (Oktave über 8')
- R+13: ottava-Chor auf dem unteren Manual, eine Oktave höher gegriffen, 3'
Zusätzlich bietet der Doppelflügel die Möglichkeit, oktavversetzte Chöre zu kombinieren:
- R-4 + R+5: principale und ottava auf dem unteren Manual, 12'+6'
- R + R+8: principale und ottava auf dem oberen Manual, 8'+4'
- R+5 + R+13: principale und ottava auf dem unteren Manual, eine Oktave höher gegriffen, 6'+3'
Als weitere Ergänzung der Möglichkeiten kann der geteilte Lautenzug auf den ottava-Chor angewendet werden:
- R-4, Lautenzug: principale auf dem unteren Manual, mit Teilungspunkt f/fis
- R, Lautenzug: principale auf dem oberen Manual, mit Teilungspunkt c/cis
Das macht den Doppelflügel zur universellsten Variante aller Ruckers-Instrumente, die zahlreiche Instrumententypen der Ruckers-Palette in sich vereint.
In der folgenden Abbildung sind die tatsächlich verfügbaren Tonhöhen der verschiedenen Registern dargestellt. Die Klaviaturen werden gewissermassen gegen eine Art von Gamut abgebildet, die einer gewöhnlichen heutigen Klaviatur entsprechen könnte. Diese Gamut geht von G'-c'''', umfasst also fünfeinhalb Oktaven. Der grösste verbreitete Cembaloumfang im 18. Jahrhundert umfasst mit F'-f''' nur fünf Oktaven.
Es ist zu beachten, dass es zwei Varianten gibt, wie ein 6'-Register realisiert werden kann: normal gegriffen mit dem ottava-Chor auf dem unteren Manual, oder eine Oktave höher gegriffen mit dem principale-Chor auf dem unteren Manual (in diesem Fall darf die Musik das notierte f'' nicht überschreiten). Der C-Schlüssel markiert die Taste, die dem klingenden mittleren c' in 8'-Bedeutung entspricht. Die Notennamen im Linienraster entsprechen dem 8'-Register (R). Die fehlenden schwarzen Tasten im Bass ergeben sich aus der kurzen Oktave.
Anrisspunkte
Die Vielfalt des Doppelflügels basiert jedoch nicht nur auf der Verfügbarkeit zahlreicher Stimmtonhöhen bzw. Klaviaturtypen, sondern auch auf der klanglichen Charakteristik jeder einzelnen Klaviatur. Um diesen Aspekt nachvollziehen zu können, müssen die Anrisspunkte der verschiedenen Register genauer betrachtet werden.
Der principale-Chor des unteren und des oberen Manuals besteht aus den identischen Saiten, die jedoch an unterschiedlichen Punkten angezupft werden. Das führt zu einer anderen Klangfarbe für den gleichen Chor.
Die Anrisspunkte des principale- und des ottava-Chors auf dem oberen Manual liegen ziemlich nahe an den Anrisspunkten in einem einmanualigen flügelförmigen Ruckers-Instrument. Man könnte also sagen, dass das obere Manual einem einmanualigen Ruckers-Flügel entspricht. Das gilt für die Klangcharakteristik wie auch für die Waagepunkte der Tastenhebel. Das obere Manual klingt und spielt sich also wie ein einmanualiger Ruckers-Flügel in originaler Disposition.
Das untere Manual hat jedoch ganz andere Eigenschaften. Durch die langen Tastenhebel ist das Spielgefühl näher an einem grossen Virginal. Die Anrisspunkte des ottava-Chors entsprechen eher einem Virginal in Spinett-Typ (mit der Klaviatur links im Gehäuse). Die Anrisspunkte des principale-Chors lassen sich am ehesten mit jenen eines Virginals im Muselar-Typ vergleichen (mit der Klaviatur rechts im Gehäuse), wobei dies nur für den Diskant stimmt. Im Bass sind die Anrisspunkte im Doppelflügel natürlich wesentlich weniger mittig als beim Muselar.
Daraus wird ersichtlich, dass der Doppelflügel nicht nur die Tonhöhen zahlreicher Instrumententypen in sich vereint, sondern auch zahlreiche Klangfarben (in Bezug auf die Anrisspunkte) anbietet, die sonst nur mit separaten Instrumenten zu bekommen sind.
In diesem Sinne verstehe ich meinen Doppelflügel als Kombinationsinstrument. Um die einzelnen Möglichkeiten künstlerisch und aufführungspraktisch zu verstehen, muss die gesamte Instrumentenpalette der Ruckers betrachtet werden. Erst wenn man versteht, warum die Ruckers so viele verschiedene Instrumente im Angebot hatten, wird man die heute so ungewohnte Disposition des Doppelflügels nachvollziehen können.
Musikalische Verwendung
Der Wunsch, einen Ruckers-Doppelflügel zu besitzen basierte auf der sinnlichen Erfahrung, die ich beim ersten Spielen auf Johan Hofmanns Instrument hatte. Vor dieser Initial-Konfrontation mit dem einzigartigen Klang dieses Instruments tat auch ich den Doppelflügel als Transponierhilfe für schlecht ausgebildete Tastenspieler oder inkompetente aber reiche Dilettanten ab. Nach der Konfrontation wurde mir klar, dass es ganz andere Gründe geben musste, die wesentlich mehr mit der Klangsubstanz und dem Spielgefühl zu tun haben als nur die Tonhöhenlogistik zu organisieren.
So bestellte ich das Instrument ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie und wozu ich es verwenden würde, jedoch mit einer grossen Zuversicht, dass mir das Instrument schon zeigen würde, was es mag und kann.
Ich versuche hier zusammenzufassen, was seither alles entstanden ist. Das sind selbstverständlich individuelle Erfahrungen, die von meiner Vorbildung und meinem musikalischen Umfeld genauso geprägt sind wie von meinen Vorlieben und cembalistischen Fähigkeiten.
Überlegungen zum Deckel
Die Ausführung des Deckels führte zu überraschend komplexen Diskussionen, die weitreichende Folgen für die musikalische Praxis haben. Es gibt folgende Varianten zu bedenken, die in Originalinstrumenten und wichtiger noch in der Ikonographie alle zu finden sind:
- Der Hauptdeckel kann im Bereich der Rechen geteilt sein oder aus einem Stück bestehen.
- Der Hauptdeckel kann mit einem Stock oder mit einer Schnur in seiner offenen Position gehalten werden. Das Anlehnen des geöffneten Deckels an eine Wand entspricht der Lösung mit einer Schnur.
- Die 'Knieklappe' ist immer vorhanden und in Originalinstrumenten nicht abnehmbar.
Die Teilung des Hauptdeckels hat Konsequenzen für die Gestaltung. Ist der Hauptdeckel einteilig, ergibt sich eine durchgehende Fläche in einem gemäldefreundlicherem Format als bei geteiltem Deckel. Dafür entstehen bei einem geteilten Deckel zwei unabhängige Flächen. Der vordere Teil ist rechteckig und kann bei geschlossenem hinteren Teil aufgeklappt werden. Wird er dann von einer Schnur in aufrechter Position gehalten, entsteht eine vorteilhafte Fläche für ein rechteckiges Gemälde. Dieses Gemälde verschwindet bei vollständig geöffnetem Hauptdeckel, weil er nach hinten klappt. Diese Variante schliesst die Verwendung eines Stocks aus, weil dann der vordere Deckel durch die Schnur blockiert würde.
Ich schätze bei meinem Instrument (siehe Bilder weiter oben) die vielfältige Deckelsituation. Gerade nachts ist es angenehm, mit geschlossenem Hauptdeckel zu spielen, was das Instrument klanglich und optisch viel intimer scheinen lässt. Ausserdem kommt das grosse Gemälde durch den grossen Öffnungswinkel besser zur Geltung als wenn ein Stock benutzt würde. Darüber hinaus lässt sich das Instrument einhändig öffnen und schliessen, und ich brauche mich bei Transporten nicht darum zu sorgen, den Stock zu verlegen.
Die Knieklappe ist eher unbequem, da sie den Spieler zu einer seitlichen Haltung zwingt. Trotzdem lasse ich die abnehmbare Klappe stets eingehängt, primär aus ästhetischen Gründen.
Ich habe mich entschieden, das Fussgestell wesentlich höher anfertigen zu lassen als es heute üblich ist. Deshalb benötige ich einen hohen Hocker, normale Stühle oder Klavierbänke sind viel zu niedrig. Das beruht auf Betrachtungen der Ikonographie. Durch die erhöhte Position bekommt das Instrument eine ganz andere Präsenz im Raum als normale Cembali, sowohl optisch wie klanglich.
Tastenmusik
Im Zentrum meiner Aufmerksamkeit steht die Musik von Sweelinck. Dieser Komponist hat nachweislich 1604 (das Jahr seines ersten Drucks mit polyphonen Psalmen) ein Doppelflügel von Ruckers gekauft. Es ist davon auszugehen, dass dieses Instrument integraler Bestandteil seines Schaffens und seines Unterrichtens war. Für mich ist die Paarung von höchstwertiger Tastenmusik mit einem höchstwertigen Instrument unwiderstehlich anziehend.
Die Verwendung des Doppelflügels für Sweelincks Toccaten, Fantasien und Lied-Variationen (die Choral-Variationen habe ich bisher nicht intensiv gespielt) ist überaus erfüllend und vielschichtig. Die verschiedenen Registrierungen und mit ihnen verbunden die stark unterschiedlichen 'touchés' geben jedem Stück einen ganz eigenen Charakter. Dabei spielt für mich die klingende Tonhöhe keine nennenswerte Rolle, ich überlege nie, 'in welcher Tonart' ich denn gerade spiele, oder ob ich ein Stück lieber 'wie notiert' oder 'irgendwie ganz anders' hören möchte.
Der 12' ist für mein Empfinden das Basis-Register, sozusagen das Hauptwerk des Instruments. Die 'grosse Musik' spiele ich darauf, der Klang und der Anschlag strahlen eine 'Gravitas' aus, bzw. fordern sie vom Spieler ein. Bis in die tiefsten Saiten bleibt eine Transparenz und Druchhörbarkeit erhalten, die ich von 'normalen' Cembali nicht kenne.
Der 6' klingt wie ein silbriges Spinett, auf dem sich schnelle Läufe locker spielen lassen, das aber durch den frei mitschwingenden 12' eine einmalige Resonanz-Aura erhält. Da der Anschlag noch immer gravitätisch ist, lässt sich auch in diesem leichten glockigen Klang die Polyphonie ohne Kompromisse darstellen.
Die Kombination von 12' und 6' klingt, wie wenn zwei separate Instrumente gleichzeitig gespielt würden. Der 12' erzeugt eine raumfüllende Klangmasse, während der 6' die Konturen scharfzeichnet und auch die virtuosesten Passagen glasklar herausbringt.
Der 8' hat den typisch näselnden Charakter, der eher an ein Regal als einen Prinzipal einer Orgel erinnert. Durch den grossen Klangkörper und den mitschwingenden 4' hat der 8' jedoch so viel Körper und Substanz, dass man nicht auf die Idee kommt, ihn als Effektregister zu verwenden. Etwas introvertiertere Stücke oder schlichte Tänze finde ich besonders passend auf diesem Register.
Der 4' ist ausgesprochen scharf, er geht schon in die Richtung von 'Oboen-Registern', die ich von späten Englischen Cembali kenne. Vielleicht ist die Referenz zu einem Brustwerk-Regal nicht ganz verkehrt. Leichte schnelle Diminutionen und perlende Tanzsätze funktionieren sehr gut.
Die Kombination von 8' und 4' ist brilliant und ausgesprochen rhythmisch präsent. Rauschende Tiraten und dichte Schüttelfiguren können ekstatisch aufgeladen werden. Aber auch bei langsamerer Polyphonie führt ein ungemein vokaler Klangkern die Stimmen stets weiter, und bei aller gleissender Rhythmik bleibt der Klang immer körperlich.
Den Lautenzug finde ich auf dem 12' klar überzeugender als auf dem 8', ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass er auf dem 8' gar nicht vorgesehen ist. Im 12' klingt er wie eine grosse Theorbe, der mitschwingende 6' gibt ihm eine Tiefe und Gesanglichkeit, an die kein anderer Lautenzug den ich kenne herankommt.
Diese Farbpalette gibt schon genug Material, um in einem abendfüllenden Sweelinck-Rezital keine zwei Stücke mir der gleichen Registrierung aufzuführen. Allerdings gibt es weitere Kombinationen. Für Echo-Fantasien bietet es sich beispielsweise an, auf beiden Manualen gleichzeitig zu spielen: Die Kombination von 12' und 4' hat sich bewährt. Selbstverständlich muss dann das Echo (4') transponierend gegriffen werden. Auf die Spitze treiben kann man das Spiel, indem man den unteren Teil des Lautenzugs im 12' verwendet (linke Hand, Begleitung), die rechte Hand (Dux) im offenen 12'-Diskant spielt und ein Echo (Comes) im 4' auf dem oberen Manual greift.
Mit dieser Registrierung drehe ich das Argument der Transponierhilfe um: nur wer fliessend Transponieren kann, vermag die volle Farbenvielfalt dieses Instruments auszunutzen.
Zusätzlich zur klanglichen Realität des Instruments leitet der Anschlag und die spezifische Ergonomie der Klaviaturen die Spielweise in Richtung 'Gravitas'. Die robuste Tastentiefgangsbegrenzung, die auf beiden Manualen am hinteren Ende der Tastenhebel angebracht ist lädt dazu ein, vertrauensvoll mit einem gewissen Gewicht zu spielen, und die Klaviatur im besten Sinn zu kneten, den Klang und die Polyphonie zu modellieren.
Dies ist ein diametraler Gegensatz zum ideal des leichtgängigen französischen Cembalos des 18. Jahrhundert, deren ideale Spielweise von F. Couperin exemplarisch beschrieben wird. Mit diesem Zugang wird weder der Doppelflügel noch sein Spieler glücklich.
Ich betrachte es als selbstverständlich, auf dem Ruckers-Doppelflügel historische Fingersätze anzuwenden, ohne eine spezifische Umsetzung zum Ideal zu erklären zu wollen. In der Disserdation von Hans Schnieders finden sich zahlreiche wertvolle Hinweise, die aber längst nicht einen dogmatischen Zugang rechtfertigen.
Meine übliche Lösung verwendet in der rechten Hand den Mittelfinger als Hauptfinger für paarig ausgeführte Tonleitern (3-4 3-4 3-4 aufwärts und 3-2 3-2 3-2 abwärts). Die linke Hand spiegelt dieses Prinzip für abwärts-Skalen (3-4 3-4 3-4), für aufwärts-Skalen wird jedoch der Daumen zum Hauptfinger (1-2 1-2 1-2). Bei Stücken die ein B als Vorzeichen haben ist es häufig geschickter, die aufwärts-Skalen umzudrehen (2-1 2-1 2-1). Falls mehr als eine Stimme in einer Hand gegriffen werden muss, kann üblicherweise dieses System nicht konsequent befolgt werden.
Vokalmusik
Bisher hatte ich nur einmal die Gelegenheit, mein Instrument im Zusammenhang mit Vokalpolyphonie einzusetzen: für eine "Abendmusik" am 13. Mai 2018 in der Predigerkirche Basel, mit Psalmvertonungen von Sweelinck.
Es hat sich bestätigt, dass dieses Instrument zur Begleitung von Vokalpolyphonie sehr geeignet und vielfältig einsetzbar ist. Prinzipiell habe ich eine Art von strukturellem Partiturspiel gepflegt, wobei ich stets wählen konnte, ob ich die Stimmen in der klingenden Oktave oder eine Oktave höher oder eine Oktave tiefer verdopple. Der 12' konnte so die klangliche Funktion eines 16' übernehmen. Die notierten Bassstimmen bewegen sich oft überhalb des G, was mir erlaubt, den kompletten Satz auf dem principale eine Oktave tiefer zu spielen, während das ottava-Register die Stimmen in der klingenden Oktave verdoppelte.
Diese oktavierende Verdoppelung hat einen faszinierenden Effekt im Gesamtklang, da sie den Stimmen eine Art zusätzliches Fundament gibt, ohne sich je in den Vordergrund zu spielen. Auch in dieser Praxis wurde es deutlich, dass transponierendes Greifen eine absolut notwendige Fähigkeit ist, um das Instrument voll auszunutzen.
Solostimme
Für eine szenische Aufführung der "Offices de ténèbres" von Michel Lambert setzte ich mein Ruckers als einziges Continuo-Instrument ein. In diesem Zusammenhang hat sich der Lautenzug auf dem 12' als besonders magisch erwiesen. Bei geschlossenem Hauptdeckel entfaltet der Lautenzug einen intimen und weichen Charakter, wie er von einem Cembalo kaum herzustellen ist.
Instrumentalmusik
Es ist meines Wissens praktisch keine 'Kammermusik' erhalten, die sich für den Ruckers-Doppelflügel anbieten würde. In der Ikonographie sind jedoch die verschiedensten Besetzungen zu sehen. Ich vermute, dass Polyphonie-Drucke auch instrumental mit beliebigen Instrumentenkombinationen musiziert wurden.
Im folgenden Video habe ich gemeinsam mit Eva Saladin einige Genres für die Kombination des Doppelflügels mit einer Violine ausprobiert.
Ich vermute, dass auch die Diminutionspraxis ein Einsatzgebiet für das Instrument war. Das Madrigal "Nasce la pena mia" von Alessandro Striggio wurde von Johann Schop in einer zweistimmigen Fassung notiert: ein Bass und eine diminuierte Oberstimme. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die polyphonen Qualitäten des Doppelflügels zu nutzen, um eine Mischung aus Generalbass-Sonate, Schein-Madrigalsatz und Extempore-Toccata für zwei Instrumente zu erfinden.
Die Präsenz und Körperlichkeit des Doppelflügels zwingt den 'Continuisten', tatsächlich jede Note bewusst zu setzen. Wenn man die Herausforderung annimmt ist dies eine einzigartig erfüllende Erfahrung.
Ich bedanke mich an dieser Stelle bei Eva für ihre unerschrockene Offenheit, sich dem Doppelflügel zu stellen und für ihre Ideen, auf welche Art und Weise Violine und Ruckers zusammenfinden können.
Zusätzlich bedanke ich mich bei Anne Smith und Johanna Bartz (Traverso) und Tabea Schwarz (Blockflöte) für musikalische Erlebnisse mit dem Doppelflügel und anregende Gespräche.
Gemischte Gruppen
Für die CD-Produktion (im Druck) mit Nuria Rial, Jan Börner und dem Ensemble Il Profondo setzte ich meinen Doppelflügel als 'gewöhnliches' Continuo-Instrument ein. Die Mischung mit Solostimmen (Lied) und mit einer kleinen Continuo-Gruppe (Violoncello und Laute) zeigte sich als ausgesprochen farbenreich und klanglich unterstützend.
Im Zusammenhang mit einem Violinen-Consort (Kompositionen von Weichlein) ist die Kraft und Zeichnungsfähigkeit des Doppelflügels besonders wertvoll. Der rauhe kernige Klang der Consort-Violinen und -Violas mit ihren unumwickelten G- und C-Saiten mischt sich hervorragend mit dem substantiellen Klang des Cembalos.